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Unsere10-jährige Tochter Emily macht trotz einer LRS-Therapie beim Schreiben immer wieder Fehler. Wenn man ihr sagt, dass sie das, was sie geschrieben hat, noch einmal kontrollieren soll, findet sie ihre Fehler meistens, aber wir müssen sie ständig darauf hinweisen. Wegen ihrer schlechten Konzentration war Emily auch bei einem Neurofeedbacktraining. Die Therapeutin sagt, dass Emily sich inzwischen gut konzentrieren könne. Nur warum klappt es dann mit dem Schreiben immer noch nicht so richtig?

So wie Sie es beschreiben, hat Emily zwar inzwischen die Regeln verstanden, die der deutschen Rechtschreibung zugrunde liegen, sie hat diese Regeln jedoch nicht beziehungsweise nicht ausreichend automatisiert.

Die Automatisierung der Rechtschreibstrategien und Rechtschreibregeln fällt oft schwerer als das Verstehen und Erlernen dieser Strategien und Regeln.

Um diese Automatisierung zu erreichen, ist es hilfreich, möglichst jeden Tag einen Satz zu diktieren, den das Kind mithilfe der gelernten Regeln und Strategien selbstständig kontrolliert. Je konsequenter das betrieben wird, desto schneller und zuverlässiger werden Regeln und Strategien automatisiert.
Dafür ist ein täglicher Aufwand von ungefähr 5-10 Minuten erforderlich.
Dieses tägliche Üben nervt viele Kinder.

Manche Kinder lassen den täglichen Diktatsatz über sich ergehen wie eine Spritze beim Arzt, sie versuchen also, dabei nicht wirklich anwesend zu sein.

Das bedeutet, dass sie ihr Gehirn in keiner Weise aktivieren. Ich beschreibe diesen Zustand gerne als Standby-Modus des Gehirns. Die meisten Kinder, die ich darauf anspreche, geben auch sofort zu, dass sie, wenn sie etwas schreiben sollen, ihr Gehirn nicht wirklich hochfahren, um bei der Computersprache zu bleiben.

Konzentration geht nicht von selbst. Ich muss jedes Mal aktiv entscheiden, konzentriert und ganz bei der Sache zu sein. Konzentration ist immer anstrengend.

Und zwar auch dann, wenn das Gehirn durchaus fähig ist, Konzentration aufzubauen und zu halten, was Emily ja inzwischen kann.
Das liegt an der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Ein großes, leistungsfähiges Gehirn verschlingt nämlich viel Energie. Beim Erwachsenen sind es 20 % des Gesamtumsatzes, obwohl das Gehirn nur 2 % der Körpermasse ausmacht. Bei Vier- bis Fünfjährigen verbraucht das Gehirn sogar 43 % der Energie, wie US-Wissenschaftler herausgefunden haben.
Dieser große Energiebedarf des Gehirns war zur Frühzeit des Menschen angesichts der sehr unregelmäßigen Versorgung mit Nahrung ein großes Risiko.

Um Energie zu sparen, hat sich unser Gehirn so entwickelt, dass es normalerweise nicht voll aktiv ist. Nur in Gefahrensituationen, in Glücksmomenten und bei aktiver Konzentration ist es hellwach und voll leistungsfähig.

Was früher ein Überlebensvorteil war, ist heute oft ein Problem: Wir sind nicht automatisch konzentriert, nur weil es für die Aufgabe, die wir zu bewältigen haben, günstiger wäre.
Wenn Emily ihre Schreibfehler finden kann, sobald sie darauf hingewiesen wird, aber beim Schreiben trotzdem immer wieder (eigentlich unnötige) Fehler macht, können wir annehmen, dass Emily sich beim Schreiben nicht ausreichend konzentriert.

Fehlende Konzentration können Sie nicht mit Gewalt wegzaubern!

  • Zeigen Sie Emily immer wieder den Zusammenhang zwischen Konzentration und Fehlervermeidung auf!
  • Erinnern Sie Emily daran, wie Konzentrieren geht: Ich spreche bei dem, was ich tue, innerlich mit. Ich kontrolliere die Wörter mithilfe der Strategien und Regeln, die ich gelernt habe.
  • Lassen Sie Emily einen Wecker oder eine Stoppuhr auf eine Zeitspanne von 5-10 Minuten stellen und diktieren Sie in dieser Zeit einen Satz, den Emily dann kontrollieren soll. Falls Sie in der Zeit nicht fertig werden, besprechen Sie den Satz am nächsten Tag. Emily muss sich darauf verlassen können, dass nicht länger als abgesprochen geübt wird.
  • Zeigen Sie Emily immer wieder auf, wie schnell sie fertig wird, wenn sie sich gut konzentriert und wie viel mehr Freizeit sie dann hat!
  • Beim Neurofeedbacktraining hat Emily mit ihren Gedanken Gegenstände oder Figuren auf einem Bildschirm bewegt. Das macht allen Kindern Spaß. Erinnern Sie Emily daran. Fordern Sie sie auf, ihr Gehirn genau auf die Weise anzustrengen, wie sie es beim Neurofeedbacktraining getan hat. Kinder kommen nicht unbedingt von selber darauf, dass sie das jetzt beim Lernen immer tun sollen!

Nicht zuletzt muss Emily das alles auch wollen. Schon Johann Wolfgang von Goethe hat gesagt: Erfolg setzt zwei Dinge voraus: Klare Ziele und den brennenden Wunsch, sie zu erreichen.

Den brennenden Wunsch, beim Schreiben möglichst wenig Fehler zu machen, haben leider nicht alle 10-jährigen Kinder.

Bleiben Sie trotzdem dran, aber üben Sie nicht zu viel Druck aus. Lassen Sie Emily immer wieder ihre Fehler suchen und loben Sie sie, wenn sie ihre Fehler findet. Das ist auf lange Sicht erfolgreicher.

Wichtig ist, dass immer wieder an die gelernten Strategien und Regeln erinnert wird. Mit zunehmender Reife wird Emilys Bereitschaft  wachsen, sich auch bei den Hausaufgaben zu konzentrieren und die Regeln und Strategien regelmäßiger anzuwenden.

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