Meine Tochter geht in die 3. Klasse. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass sie den Schulstoff gut versteht. Sie macht aber immer wieder dumme Fehler, verwechselt Kilogramm und Gramm, wird bockig und versteht die einfachsten Aufgaben nicht mehr. Die letzten Klassenarbeiten waren gerade in Mathe nicht so gut.
Mein Mann ist der Meinung, dass wir zu wenig üben. Wir sollten wenigstens eine halbe Stunde, wenn das nichts nützt, eine Stunde täglich extra üben. Er hat sogar vorgeschlagen, dass er abends nach der Arbeit mit ihr übt, wenn wir das tagsüber nicht schaffen.
Mit einem Grundschulkind jeden Tag eine halbe bis eine Stunde zusätzlich zu den Hausaufgaben zu üben, ist aus einer ganzen Reihe von Gründen in der Regel nicht sinnvoll.
1. Ein Kind, das täglich so lange extra üben soll, ist frustriert.
Ihre Tochter wird erst recht bockig werden, wenn sie weiß, dass sie jeden Tag so lange üben muss. Sie müssen also damit rechnen, dass Ihre Tochter einen Großteil ihrer Kraft dafür aufwenden wird, sich gegen Sie und gegen das Üben zu wehren. Effektives Lernen ist so nicht möglich.
2. Das Gehirn hat eigene Regeln, nach denen es entscheidet, was es sich merkt!
Denn unser Gehirn merkt sich nicht automatisch alles, was wir sehen, hören oder erleben. Es wäre damit auch komplett überfordert. Niemand muss das Autokennzeichen eines jeden Autos behalten, das an uns vorbeifährt, das Gesicht und die Kleidung eines jeden Menschen, dem wir am Tag begegnen.
Diese Informationen sind für uns vollkommen unwichtig.
Als wichtig dagegen betrachtet das Gehirn alles, was sich häufig wiederholt. Sie wissen aus diesem Grund ganz genau, was für ein Auto Ihr Nachbar fährt und was wo im Supermarkt steht, ohne dies extra gelernt zu haben.
Den Schulstoff zu wiederholen, ist daher durchaus sinnvoll. Mit der Aussicht auf eine so lange Übungszeit erzeugen Sie allerdings so viel
Frust, dass Ihre Tochter wahrscheinlich auch ohne sichtbaren Kampf komplett zumacht und gar nichts behält. Denn ein frustriertes Gehirn weiß sich zu wehren.
Ohne Wiederholung behalten wir übrigens alles, was uns sehr geängstigt oder erschreckt oder was uns ganz besonders gefreut hat.
3. Mit Spaß und Freude lernt es sich leichter
Ein Kind freut sich zwar selten so sehr über einen Lernstoff, dass es ihn sofort behält. Wenn das Lernen stressfrei und angenehm ist, lernt und behält es aber sehr viel besser. Eine lange, tägliche Extra-Lernzeit wirkt da kontraproduktiv.
4. Ein Kind in der 3. Klasse kann sich ca. 20 Minuten konzentrieren
Danach braucht es eine kurze Pause. Auch eine Auflockerung durch eine Übung, bei der es sich bewegen kann oder ein Themenwechsel helfen dem Kind, sich erneut zu konzentrieren.
Eine halbe Stunde oder länger das Einmaleins zu üben bringt nicht mehr, als wenn Sie nur 10 Minuten üben!
5. Wichtig ist, das Richtige richtig zu üben
Abschreibübungen und reine Rechenübungen bringen meist nur wenig. Wichtig ist vielmehr, dass Sie herausfinden, wo genau die Probleme Ihrer Tochter liegen und beim Üben dort ein Verständnis aufbauen. Auch das Einmaleins und Größen wie Kilogramm, Gramm, Meter, Zentimeter und Kilometer müssen zuallererst verstanden werden.
6. Ein müdes Kind behält nichts
Abendliches Lernen kann bei Jugendlichen sinnvoll und effektiv sein. Grundschulkinder jedoch können abends nichts mehr aufnehmen, sondern gehören ins Bett. Dann klappt am nächsten Tag auch das Lernen wieder.
TIPP
- Üben Sie regelmäßig. Bei einem Grundschulkind reichen in der Regel 10 Minuten zusätzlich pro Tag.
- Halten Sie sich an die vereinbarten Zeiten. Gerade, wenn Ihre Tochter mitmacht und es gut klappt, sollten Sie sie nicht durch längeres Üben bestrafen.
- Das Einmaleins oder wie viel Gramm in einem Kilo sind, können Sie auch während der Autofahrten zum Musikunterricht oder zum Sport abfragen.
- Üben Sie nicht mit einem übermüdeten Kind! Ihre Tochter wird erstens nichts behalten und zweitens schlechte Laune bekommen!
- Zum Lernen gehört die Entspannung! Ihre Tochter braucht genügend Schlaf und ausreichend Bewegung. Dann kann sie das Gelernte besser behalten.
- Sprechen Sie über all dies mit Ihrem Mann. Wenn er sogar selber täglich so lange mit Ihrer Tochter üben will, macht er sich eindeutig ehrliche Sorgen. Machen Sie ihm daher keine Vorwürfe. Vorwürfe schaden Ihrer Beziehung, lösen aber nicht das Problem. Suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten, die oben genannten Tipps umzusetzen!
- Sollten diese Tipps nicht nützen, sollten Sie die Ursache für die Lernprobleme fachlich abklären lassen.
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