Unser Mäxchen ist im Herbst eingeschult worden und tut sich schwer mit dem Lesen und Schreiben. Rechnen kann er etwas besser, aber er schreibt auch die Zahlen immer wieder verkehrt herum. Meine Freundin hat mir geraten, ihn zur Lerntherapie zu schicken.
Nicht jedes Kind ist bei der Einschulung schulreif
Zwar gibt es einen Einschulungstest, und auch der Kindergarten berät über die Schulreife, aber trotzdem werden immer wieder Kinder eingeschult, die noch nicht wirklich schulreif sind. Das liegt vor allem an zwei Faktoren:
1. Der Stichtag für die Einschulung ist verschoben worden. Gerade Jungen sind aber oft langsamer in ihrer Entwicklung.
In einigen Bundesländern liegt der Schulstichtag zwar noch auf dem 30. Juni, in mehreren Bundesländern ist der Schulstichtag allerdings auf Ende September, in Berlin sogar auf Ende Dezember verschoben worden.
Liegt der Schulstichtag auf dem 30. Juni, sitzen in den Klassen immer wieder sehr weit entwickelte, sehr vernünftige 7-jährige Mädchen, die ohne Probleme auch ein Jahr eher hätten eigeschult werden können.
Jungen sind oft langsamer in ihrer Entwicklung. Deshalb besteht gerade bei Jungen die Gefahr, dass sie bei einem späten Schulstichtag zu früh eingeschult werden. Ich habe aber auch schon Mädchen erlebt, die noch in der 2.Klasse so verspielt waren, dass sie mit den Rechenmaterialen wie mit Spielfiguren gespielt haben.
2. Die geistige Reife ist schwieriger zu testen als die körperliche
Beim Schulfähigkeitstest müssen Kinder auf einem Bein stehen, rückwärts laufen und mit dem Fuß einen Ball schießen können. Die Kinder müssen zwar auch eine Geschichte nacherzählen und einfache geometrische Formen nachmalen können. Es wird aber nicht getestet, ob ein Kind schon versteht, dass ein Buchstabe eine völlig andere Bedeutung hat, wenn nur ein kleines Detail anders ist. So etwas haben wir beispielsweise beim kleinen b und beim kleinen d. Beide Male habe ich einen Strich mit einem Bäuchlein unten dran. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Bäuchlein beim b an der rechten Seite ist und beim d an der linken.
Kleine Unterschiede als bedeutungsunterscheidend zu erkennen, ist ein Entwicklungsschritt, den jedes Kind irgendwann macht!
Einige Kinder können Buchstaben und Zahlen wie b und d, das E und die 3 oder auch die 6 und die 9 schon mit nicht einmal 5 Jahren sicher unterscheiden, die meisten Kinder mit 6 Jahren, einige müssen dafür aber noch ein Jahr älter werden.
Natürlich kann ich in der Lerntherapie die Wahrnehmung des Kindes für diese kleinen Unterschiede schulen. Aber das ist ein langer, anstrengender Prozess.
Ein Kind, das in der ersten Klasse große Schwierigkeiten hat, sollte keine private Lernförderung erhalten, sondern die 1. Klasse wiederholen
Damit gebe ich dem Kind Zeit, die nötigen Entwicklungsschritte nachzuholen. Häufig verschwinden die Lernprobleme dann ganz von selbst. Wenn Eltern von Erstklässlern wegen einer Lerntherapie anfragen, berate ich die Eltern, nehme das Kind jedoch nicht für die Lerntherapie an.
Nur wenn das Kind beim Wiederholen der 1. Klasse immer noch Schwierigkeiten hat, ist eine Lerntherapie sinnvoll. In solchen Fällen sollte das Kind unbedingt auch einem Kinderpsychiater oder einem Kinderpsychologen vorgestellt werden, um die Ursache für die Lernprobleme abzuklären.
Kinder, die bereits in der 1. Klasse eine spezielle Lernförderung benötigen, haben meist auch in höheren Klassen einen verstärkten Förderbedarf
Die Lernprobleme ziehen sich dann oft durch die gesamte Schulzeit. Damit tue ich dem Kind keinen Gefallen.
TIPP
- Lassen Sie Ihr Kind die 1. Klasse wiederholen. Erklären Sie Ihrem Mäxchen, dass mit ihm alles in Ordnung ist. Erklären Sie ihm, dass auch Erwachsene manchmal Fehler machen und übersehen haben, dass er lieber ein Jahr später hätte eingeschult werden sollen.
- Machen Sie sich keine Sorgen wegen seiner Freunde. In dem Alter schließen Kinder meist schnell neue Freundschaften. Strahlen Sie Zuversicht aus. Ihr Mäxchen spürt Ihre Stimmung ganz genau!
- Machen Sie aus Ihrem Mäxchen das Schulkind Max. Sie signalisieren ihm damit, dass Sie ihm etwas zutrauen!
Aber was wenn das Kind schon 1 Jahr später eingeschult ist? Sollte man trotzdem das 1. Jahr wiederholen lassen? Ist der Altersunterschied dann nicht zu groß?
Hallo Nadja,
wenn das Kind schon 1 Jahr später eingeschult wurde, sieht die Situation natürlich anders aus. Viele Faktoren müssen dann berücksichtigt werden: Bestehen die Schwierigkeiten nur in einem Fach? Dann ist es sinnvoll, gezielt die Grundlagen zu erarbeiten und dem Kind zu helfen, wieder Anschluss zu finden.
Falls Schwierigkeiten in mehreren Fächern zu beobachten sind, wäre es sinnvoll, nach der Ursache zu forschen: Litt das Kind unter psychischen Belastungen, etwa aufgrund familiärer Änderungen?
Könnten Konzentrationsschwierigkeiten die Ursache sein?
Hilfreich wäre es dann, dies abklären zu lassen, beispielsweise in einem Sozialpädiatrischen Zentrum, bei einem Kinder- und Jugend Psychiater oder beim Schulpsychologischen Dienst. Auch Kinder- und Jungendpsychologen führen teilweise entsprechende Tests durch.
Wichtig ist auf jeden Fall, dem Problem auf den Grund zu gehen, damit Ihr Kind sich nicht durch seine gesamte Schulzeit quält.
Veronika Totzeck
Danke für die guten Informationen zum Kinderpsychiater. Ein Bekannter hat mit seinem Sohn ein ähnliches Problem. Vielleicht wäre es auch das Beste das Kind ein Jahr später einzuschulen.