Die schlechte Leseleistung vieler Schüler, die anlässlich des Pisa-Testes wieder einmal zu öffentlichem Aufschrei führt, hat viele Gründe.
Natürlich muss ein Kind Deutsch können, um das Gelesene auch zu verstehen.
Auch das Lesen- und Schreibenlernen anhand der Druckschrift erschwert das flüssige Lesenlernen. Lesen Sie dazu „Die Druckschrift und das Lesen“.
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der in der so gut wie nie beachtet wird:
Wir leben nicht in einer Welt der Buchstaben, sondern in einer Welt der Bilder.
Diese Welt der Bilder begleitet die Kinder auch beim Lesenlernen: Alles, was sie lesen, ist bebildert. Das soll die Kinder motivieren. Die Schrift wird dadurch zu so etwas wie die Häkelbordüre der Bilder: hübsch, aber nicht unbedingt nötig.
Lesen bedeutet jedoch nicht nur, ein Wort oder einen Satz korrekt zu entziffern, sondern sich dazu auch etwas im Kopf vorzustellen, sich also selbst ein Bild zu machen.
Gerade leseschwache Schüler lesen meistens buchstabierend und ohne jedes Leseverständnis. Selbst Schüler weiterführender Schulen lesen mitunter erbarmungslos über Wort- und Satzgrenzen hinweg, Hauptsache, der Text wird weggeschafft.
Wenn wir erwarten, dass 15-jährige Schüler fähig sind, sich lesend ein Bild von der Welt zu machen, müssen wir jedoch schon den Erstklässlern beibringen, dass Lesen bedeutet, sich ein Bild zu machen.
Viele Erstklässler haben aber nie gelernt, allein mit der Kraft ihrer Vorstellungsgabe einen Satz zu einem Bild werden zu lassen.
Wenn man sie auffordert, sich einen Walfisch vorzustellen, der auf dem Meeresboden Purzelbäume macht, blickt man teilweise in vollkommen leere Gesichter. Doch nur Kinder, die sich so etwas vorstellen können, können lernen, sinnentnehmend zu lesen.
Solche Fantasieübungen sind eine unerlässliche Vorbereitung auf das Lesenlernen.
Auf diese Weise lernen Schüler, über absurde und quatschige Sätze zu lachen, auch ohne dass ein Bild ihnen Hilfestellung gibt. So lernen sie, dass Lesen mehr ist als das Produzieren von Buchstabenbrei. Denn Lesen bedeutet ein Bild, Lesen bedeutet, einen Inhalt zu verstehen.
Schülern das zuzumuten, braucht sehr viel Mut.
Was können Sie als Eltern tun?
- Denken Sie sich gemeinsam mit Ihrem Kind Quatschtiere aus und überlegen Sie genau, wie diese aussehen! Vielleicht hat ihr Kind auch Lust, sich ein Quatschtier auszudenken und es zu malen. Dann lassen Sie sich das Tier erklären. Nehmen Sie sich Zeit dafür!
- Fördern Sie Ihr Kind mit Leseübungen ohne Bilder. Denken Sie nicht, dass Bücher ohne Bilder nicht kindgerecht sind.
Bücher ohne Bilder geben Ihrem Kind Raum für Fantasie.
Bücher ohne Bilder ermöglichen erst, dass Ihr Kind seine Fantasie ganz ausschöpfen kann!
Sämtliches Lese- und Diktatmaterial meiner Reihe „LRS geht weg!“ verzichtet deshalb auf Bilder. Das Leselernbuch „Verschleifend lesen lernen“ arbeitet von Anfang an mit kurzen, einfachen Quatschsätzen, die Ihr Kind dazu anregen, sich ein Bild zu machen.
Auch mein Leselernroman „Der ge-fähr-li-che Weg zum Ho-nig“ fördert die Vorstellungskraft der Kinder. In sehr kurzen Kapiteln und durchgehend in Silben gegliedert, erzählt der Leselernroman eine fortlaufende Geschichte. So lernt Ihr Kind zusätzlich, einen langen Atem zu entwickeln und nicht gleich nach kürzestem Leseeinsatz schon fertig zu sein. Und es macht die Erfahrung, wie viel spannender eine längere Geschichte ist.