Die Druckschrift und das Lesen
Zu dem Beitrag von Heike Schmoll „Überlegenheit der Fibelmethode“ (F.A.Z. vom 28. September):
Als Lerntherapeutin gehöre ich zum Reparaturbetrieb des staatlichen wie privaten Schulsystems. Neben dem Schreiben nach Gehör ist es vor allem das Primat der Druckschrift, das für stetigen Nachschub an lese- und rechtschreibschwachen Schülern sorgt.
In der 1. Klasse wird Lesen und Schreiben allgemein anhand der Druckschrift gelehrt. Als Grund dafür wird angegeben, dass unsere Umwelt voller Druckschrift sei und die Kinder so schnell wie möglich die Schrift in ihrer Umwelt lesen können sollten. Bösartig formuliert: Wir lassen die Erstklässler mit der Druckschrift lesen und schreiben, damit sie möglichst vom ersten Schultag an die Reklametafeln in unseren Städten lesen können.
Die Schreibschrift kommt dann irgendwann in der zweiten Klasse dazu, manchmal recht lieblos erst kurz vor den Sommerferien. Viele Schüler lehnen dann die Schreibschrift ab, die ihnen nicht erwachsen genug erscheint. Trotzdem ist das Bestehen auf der Schreibschrift das Erste, was ich tun muss, um schnell Erfolge zu erzielen. Schreibschrift wird fließend geschrieben und ermöglicht es dadurch, jedes Wort beim Schreiben mit seiner ganz normalen Aussprache mitzusprechen – und zwar so, dass die Sprache parallel mit dem Schreiben einhergeht. Wer jedoch buchstabierend schreibt wie mit der Druckschrift, kann schnell innerhalb eines Wortes die Orientierung verlieren, denn er spricht ja nicht das Wort mit, sondern nur einzelne Buchstaben. Dadurch entstehen die zahlreichen Auslassungsfehler, die wir in den Heften viel zu vieler Schüler finden.
Rechtschreibschwache Schüler kommen beim buchstabierenden Schreiben schon bei einfachen Wörtern wie Garten oder Elefant durcheinander. Bei längeren Wörtern wie Elefantenrüssel oder gar Schwanennester scheitern aber auch viele Schüler, die, sobald sie lernen, mitsprechend (das muss extra gelernt werden!) in Schreibschrift zu schreiben, mit solchen Wörtern überhaupt keine Probleme mehr haben. Das durch die Druckschrift beförderte buchstabierende Schreiben hat zudem negativen Einfluss auf das Lesen. Vielen Schülern fällt es schwer, verschleifend, also fließend, zu lesen. Sie lesen jedes Wort erst einmal stockend und buchstabierend und können es erst danach in einem Rutsch sagen.
Bei schweren LRS-Fällen führe ich das Schreiben in Schreibschrift ein, auch wenn es in der Schule noch gar kein Thema ist, um die Schüler beim Lesen zu unterstützen, und zwar ausnahmslos mit Erfolg. Manchmal gibt es dann sogar verklärte Blicke und den Satz: „Ach, so geht das.“ Mitunter erlebe ich aber auch, dass ein Kind, das während der Schulferien erfolgreich gelernt hat, flüssig zu lesen, wieder in sein altes, buchstabierendes Lesen zurückfällt, sobald die Schule und das buchstabierende Schreiben wieder anfangen.
Veronika Totzeck, Schwäbisch Gmünd
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