Etwas vorgelesen zu bekommen, ist schön
Das ist nicht neu. Beim Vorlesen kann man die Augen schließen und träumen. Man kann in eine Geschichte eintauchen, ohne sich anstrengen zu müssen.
Das zumindest denken viele.
Aber etwas vorgelesen zu bekommen, ist nicht bequem. Ein Kind muss sich dabei durchaus anstrengen!
1. Ein Kind, dem eine Geschichte vorgelesen wird, muss bei der Sache bleiben
Wenn ein Kind immer wieder aufsteht und wegläuft, weil ihm gerade etwas Anderes in den Sinn kommt, kann es der Geschichte nicht folgen.
Wenn Sie Ihrem Kind vorlesen, lernt es, sich für diese Zeit nur auf eine Sache zu konzentrieren. Es lernt, in die Ruhe zu gehen und etwas bis zum Ende durchzuhalten.
Das lernt es auch, wenn Sie nicht ein ganzes Buch vorlesen, sondern nur ein oder zwei Kapitel aus einem Buch. Denn auch diesen Kapiteln muss ein Kind bis zum Ende folgen, wenn es beim nächsten Mal den Fortgang der Geschichte verstehen will.
2. Ein Kind, dem eine Geschichte vorgelesen wird, lernt, sich selbst ein Bild zu machen
Im Fernsehen und am Computer sind die Bilder vorgegeben.
Wenn ein Kind fernsieht oder am Computer spielt, lernt es nicht, sich aus eigener Kraft etwas vorzustellen. Es lernt nicht, seine Fantasie zu benutzen, um sich ein Bild von dem Helden oder der Heldin der Geschichte, von der Landschaft, den Häusern und den Tieren zu machen.
3. Ein Kind, dem Geschichten vorgelesen werden, lernt neue Wörter und es hat einen größeren Wortschatz
Im Fernsehen muss nichts beschrieben werden, denn es gibt ja Bilder. Der Wortschatz der meisten Kindersendungen geht nicht über den Alltagswortschatz hinaus.
In Büchern dagegen werden die Personen, die Tiere und die Dinge genau beschrieben.
- Das Kind lernt, auch selber genau und differenziert zu beschreiben.
4. Ein Kind, dem vorgelesen wird, lernt die Grammatik der Schriftsprache
Einen Satz aufzuschreiben ist nämlich sehr viel schwerer als einen Satz zu sagen. Das geht selbst vielen Erwachsenen so.
Durch das Vorlesen lernt Ihr Kind neue Satzstrukturen. Es entwickelt ein Gefühl dafür, wie ein vollständiger Satz aussehen muss.
- Das Kind kann sich schriftlich besser ausdrücken.
5. Ein Kind, dem vorgelesen wird, lernt auch das Präteritum
Denn das Deutsche unterscheidet zwischen einer Vergangenheit, die im Mündlichen benutzt wird, und einer Vergangenheit, schriftlich benutzt wird.
Mündlich sagen wir: „Ich bin gekommen, ich habe eingekauft.“
Wir schreiben jedoch: „Ich kam, ich kaufte ein.“
- Kinder, denen nicht vorgelesen wurde und die selber wenig lesen, haben mit dem Präteritum große Schwierigkeiten.
Wenn Ihre Muttersprache nicht Deutsch ist, können Sie auch Geschichten in Ihrer Muttersprache vorlesen!
Ihr Kind lernt auch dadurch, bei der Sache zu bleiben und sich ein Bild zu machen. Auch seinen Wortschatz erweitert es so.
Um auch den deutschen Wortschatz zu erweitern, muss Ihr Kind aber später auch deutschsprachige Bücher lesen oder/und vorgelesen bekommen!
Was für Bücher eignen sich zum Vorlesen?
- Kleinen Kindern lesen Sie Bilderbücher vor. Besprechen Sie auch die Bilder!
- Spätestens ab 5 Jahren sollten Sie Ihrem Kind Bücher mit nur wenig Bildern oder ganz ohne Bilder vorlesen. Denn es soll ja lernen, sich selbst ein Bild zu machen.
- Lassen Sie sich in der Bücherei oder im Buchladen beraten!
Viele Kinder, die wenig lesen, suchen sich Bücher nach dem Umschlag aus. Mädchen wählen dann pinkfarbene Glitzerprinzessinnen und Jungen Bücher über Computerspiele. Oder die Bücher erzählen einen Zeichentrickfilm aus dem Fernsehen nach.
Diese Bücher sind oft langweilig, ohne Höhepunkt, mit einem geringen Wortschatz und manchmal nicht einmal im Präteritum geschrieben. Die Kinder verlieren dadurch schnell das Interesse.
- Sie kennen Ihr Kind. Wenn Sie mit dem Vorlesen beginnen, suchen Sie bitte ein Buch aus, das spannend und für Ihr Kind interessant ist.
- Lassen Sie sich beraten! Später, wenn Ihr Kind weiß, was eine spannende Geschichte ist, kann es sich die Bücher selbst aussuchen.
Gehen Sie mit gutem Beispiel voran! Lesen Sie auch selbst!